Die soziale Kluft in Bayern wächst

Jahrespressekonferenz des Sozialverbands VdK zur Renten- und Armutspolitik

Welchen Stellenwert haben Armutsbekämpfung und Altersabsicherung in der Ampelkoalition? Auf seiner Jahrespressekonferenz in München hat sich der Sozialverband VdK Bayern diese Seiten des Koalitionsvertrags ganz genau angeschaut, denn von diesen Grundsatzentscheidungen hängt für die Bürgerinnen und Bürger viel ab.

VdK-Präsidentin und stellvertretende Landesvorsitzende Verena Bentele nennt es „die größte Enttäuschung“, dass der Einstieg in ein Sozialversicherungssystem für alle verpasst wurde. Dennoch kann der VdK einige Erfolge in der Rentenpolitik verbuchen: Es wird keine Rentenkürzungen und keine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters geben, das Rentenniveau wird bei 48 Prozent gesichert – auch wenn nach Auffassung des VdK hier eigentlich 53 Prozent notwendig wären.


Hoffnung für Erwerbsminderungsrentner

Ein wichtiges Versprechen aus dem Koalitionsvertrag betrifft die 1,2 Millionen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner, die zwischen 2001 und 2019 wegen Erkrankungen vorzeitig in Rente gehen mussten. Diese Gruppe wird bisher von den höheren Zurechnungszeiten ausgeschlossen, die bei späteren Jahrgängen zu im Durchschnitt 80 Euro höheren Zahlbeträgen führen. Laut Koalitionsvertrag will man hier nachbessern. „Wir fordern, dass dieses Versprechen eingelöst wird, denn diese Menschen erreichen Durchschnittsrenten von kaum 900 Euro und sind oft armutsgefährdet. 80 Euro mehr bedeutet für diese Menschen sehr viel“, sagte Bentele.

Der Sozialverband VdK ist der wichtigste Interessenvertreter für Menschen, die Erwerbsminderungsrenten beziehen. Die Verbesserungen 2019 geschahen bereits auf Drängen des VdK. Um eine Gleichbehandlung aller Rentenjahrgänge zu erreichen, führt der VdK aktuell auch Klage beim Bundessozialgericht. „Ich hoffe, dass dank der richtigen politischen Entscheidung in Berlin ein Richterspruch dort überflüssig wird“, erklärte Bentele.

„Licht und Schatten“ erkennt Bentele im Koalitionsvertrag in Sachen Armutsbekämpfung. „Mit der deutlichen Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro wurde eine zentrale VdK-Forderung umgesetzt. Allerdings müsste dieser sogar bei 13 Euro liegen, damit mit einer Vollzeittätigkeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung erwirtschaftet werden kann“, so Bentele. Heftige Kritik übte sie an der gleichzeitigen Anhebung der Minijobgrenze auf 520 Euro: „Damit fördert die Bundesregierung die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. So haben wir uns eine aktive armutsbekämpfende Arbeitsmarktpolitik der neuen Bundesregierung nicht vorgestellt.“


Regelsatzreform bleibt aus

Die Reform der Grundsicherung Richtung „Bürgergeld“ findet beim VdK grundsätzlich Zustimmung. „Es fällt jedoch kein Wort zur überfälligen Neugestaltung der Regelsätze. Immer noch werden dieselben Maßstäbe für alle gesetzt, unabhängig von Alter und Gesundheit“, kritisierte Bentele. Gerade Menschen, die Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung beziehen, helfe auch die geplante Erhöhung der Zuverdienstgrenze nichts, denn diese Menschen können meistens nicht zusätzlich jobben gehen.

Mit der neuen Kindergrundsicherung hat eine weitere VdK-Forderung Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden. „Gespannt sind wir auf die Ausgestaltung, denn Ehrlichkeit muss sein. Zur Kindergrundsicherung gehört nämlich ganz wesentlich die Umverteilung, also beispielsweise das Herunterfahren steuerlicher Vorteile für einkommensstarke Eltern. Das wird nicht allen gefallen“, prophezeite Bentele.


Bayern Spitzenreiter bei Altersarmut

VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder analysierte die Renten- und Altersarmutssituation in Bayern. „Seit 2005 ist Bayern trauriger Spitzenreiter mit der höchsten Altersarmutsquote im Bundesländervergleich. Die Renten halten mit den Lebenshaltungskosten und der Inflation nicht Schritt“, sagte er. 2020 liegt die Altersarmutsquote in Bayern bei Männern bei 17,5 Prozent, bei Frauen bei 23,8 Prozent. Dazu tragen die niedrigen Renten in Bayern wesentlich bei, denn etwa zwei Drittel der Alterseinkommen werden aus der gesetzlichen Rente bestritten, in ärmeren Haushalten sind es nahezu 100 Prozent.

In seiner Ansprache äußerte sich Pausder mit einem wichtigen Satz.


Die Rente muss zum Leben reichen!

Früher was das Ziel der Rente sogar die Lebensstanddardsicherung im Alter, doch davon kann man schon lange nicht mehr sprechen. Dies ist in Bayern besonders deutlich zu sehen.

Durchschnittlich 1265,20 Euro beträgt eine Männerrente in Bayern, bei Frauen nur 765,84 Euro. Männerrenten über 1400 Euro werden nur in den Landkreisen Erlangen-Höchstadt, Aschaffenburg, Dachau und München sowie in der Stadt Erlangen erreicht. Die höchsten Durchschnittsrenten bei Frauen liegen deutlich unter 1000 Euro. Spitzenreiter ist hier die Stadt München mit 913,37 Euro, gefolgt vom Landkreis München mit 876,21 Euro und der Stadt Fürth mit 869,89 Euro. Schlusslicht bei den Männerrenten ist der Landkreis Berchtesgadener Land mit 1106,86 Euro, auf dem vorletzten Platz liegt die Stadt Weiden mit 127,67 Euro, Drittletzter ist die Stadt Regensburg mit 1133,04 Euro. Auf den drei letzten Plätzen bei den Frauenrenten liegen die Landkreise Cham mit 616,71 Euro, Freyung-Grafenau mit 625,70 Euro und Regen mit 632,10 Euro. „Die Armutsgefährdungsschwelle für einen Einpersonenhaushalt liegt in Bayern bei 1212 Euro. Bei diesen Rentenzahlbeträgen ist klar, warum die Altersarmut in Bayern so hoch ist“, so Pausder.


Mitgliederzuwachs und hoher Beratungsbedarf

Pausder warnte: „Die soziale Kluft wächst, auch wenn die Staatsregierung das nicht wahrhaben will. Wir beim VdK Bayern merken das sehr deutlich. Der VdK ist eine der wichtigsten Anlaufstellen in der Krise geworden.“ Abzulesen sei dies in den wachsenden Mitgliederzahlen: „Im 75. Jahr unseres Bestehens zählen wir mehr als 760.000 Mitglieder. Das sind 17.000 mehr als vor einem Jahr.“ Etwa 330.000 Beratungen haben 2021 beim VdK Bayern stattgefunden, das sind trotz Corona 1,3 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Statistik ist ein Spiegelbild der Pandemie: Die Rechtsbereiche Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) haben deutlich zugenommen, ebenso die Beratungen und Widersprüche zu Entscheidungen der Pflegekassen, meist in der häuslichen Pflege. Bei Widersprüchen gegen Pflegegradeinstufungen, die pandemiebedingt meist telefonisch vorgenommen wurden, beträgt die VdK-Erfolgsquote über 50 Prozent.

Die häusliche Pflege wird der Schwerpunkt einer VdK-Kampagne im Jahr 2022 sein. „Pflegebedürftige und ihre Angehörige, die sie zu Hause versorgen, müssen endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen: gesellschaftlich und finanziell“, forderte Pausder. Geplant ist unter anderem im Herbst eine zentrale Großdemonstration in München.

Wir als Agentur des VdK Bayern stehen weiterhin für die Unterstützung  als verlässlicher Partner zur Verfügung.

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